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Meldung vom 09.12.2001 00:19 |
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Was war. Was
wird. Was war.
*** Manchmal bekommen Neuigkeiten Kinder. Die laufen dann rum und
brüllen besonders laut. So meldete sich in der letzten Woche die Firma Erodata zum viel
diskutierten Jugendschutz der vorletzten Woche zu Wort. In
demokratisch lobenswerter Ausgewogenheit betreibt die Firma ein Geschäft für
Altersabfragen von Pornosites und eine geschützte Internet-Plattform für Kinder. Ein Verbot
für Schmuddelkram zwischen 6.00 Uhr morgens und 23.00 Uhr abends findet
sie darum lächerlich, wie es in der PR-Mitteilung heißt. Ohne
Schweinskrams gebe es in Deutschland kein vernünftiges Internet, behauptet
Erodata: "Ein großer Teil der geplanten Neuregelung ist ein frontaler
Angriff gegen die seriöse Internet-Erotikindustrie, die seit Jahren
treibende Kraft und somit Motor des Internet ist. Den Erotikunternehmen in
Deutschland ist es zu verdanken, dass Deutschland zu den führenden
Internetnationen in der Welt gehört." Das muss in dieser Deutlichkeit auch
den Lesern des Heisetickers immer wieder bewusst gemacht werden. Ohne Haut und Höschen hat das
Internet kein Bumms,
liebe 68er!
*** Manchmal braucht es für schlichte Wahrheiten nicht einmal Kinder,
die sowieso nicht jeder haben will. Aber wenn sie denn schon da sind,
sollen sie etwas Vernünftiges sehen beim Klicken durchs Netz und nicht
verblöden. Das hatte sich das Internet-ABC gedacht und diese
Woche seine Pforten zu einer großen Shockwave-Orgie geöffnet. Angesichts
der PISA-Werte
von Deutschland bleiben jedoch erhebliche Zweifel, ob das Installieren von
Plugins für Kinder soo einfach ist. Sind die Plugins installiert, bleiben
dagegen nur noch Zweifel, was in den Hirnen von Web-Designern vorgeht, die
solche Albträume zusammenklicken. Aber wer einen Button drücken kann, darf
sich heute schon Designer nennen, so
einfach ist das.
*** Manchmal kreißt der Berg und heraus kommt ein Mäuschen. Die
Spekulation ist vorbei; aus Ginger wurde Segway, der
Stadtrasenmäher. Kinder, die mit aufgemotzten Segways groß
werden, dürften kaum mehr den Gassenhauer "Love my on the backseat of my
motor scooter" grölen. Wenn denn TROLLFKAG (The Roller formerly known as
Ginger) überhaupt in
Serie geht. Auf den hoch gelobten Rollstuhl iBot vom Über-Düsentrieb
Kamen wartet die Welt noch
immer. Verblüffend an der gyroskopalen
Maschine ist vor allem das Kurzzeitgedächtnis der Menschen, die sie
bewundern. Niemand erinnert sich mehr an den C5 eines Sir Clive
Sinclair. Dieser Roller sollte ebenfalls die (englischen) Städte
revolutionieren. Soll der wackere Brite nur mit den grauenvollen
Gumminocken seines ZX-81 oder des Z88 in Erinnerung bleiben? Und wenn
schon Roller, wo bleibt die Bewunderung für das schöne bodenständig deutsche
Plankalkül, getauft in Erinnerung an einen anderen großen Computerbauer
mit Z-Syndrom?
*** Manchmal ist das mit der Erinnerung so eine Sache. Da erinnern sich
die Schweizer, dass Herr Pierre Boulez,
seines Zeichens ein auch von mir hoch geschätzter Musikus, einmal davon
sprach, die Opernhäuser in die Luft zu jagen, und prompt wird der Mann nach
34 Jahren sistiert. Was passiert wohl mit denen, die zur Anfangszeit
der RAF belustigt sangen "Advent, Advent, ein Kaufhaus brennt" -- die neue
Gesinnungsrepublik wird sie noch einholen wie Disney die linksliberalen
Kollegen vor
dem Ausschuss für unamerikanische Umtriebe. Wenn schon ein Disney
gewürdigt werden muss, dann ist es der Disney des "Para leer al Pato
Donald", das morgen vor 30 Jahren im chilenischen Verlag Quimantú (Der
Sonnenschein des Wissens) als Schulbuch erschien. In Deutschland
erschienen unter "Walt Disney's 'Dritte Welt'", in den USA treffender als
"How to Read Donald Duck. Imperlialistic Ideology in the Disney Comic".
Das Buch brachte die chilenischen Autoren Dorfmann und Mattelart auf
die Fahndungslisten des CIA; der amerikanische Herausgeber Seth Siegelaub
musste nach Kanada fliehen und bekam in Frankreich politisches Asyl. Als
Disneyland Paris eröffnet wurde, gab es für die in Frankreich lebenden
Publizisten "Staatsschutz": Drei Wochen durften sie ihre Wohnung nicht
verlassen.
*** Manchmal sind Dichter unter uns. Sie reimen
vom Nikolaus oder von den Routern,
die das Leben stellt. Aber warum sollen immer nur Dichter die Vorfahrt
haben? Was ist mit den Malern, diesen Künstlern der Liebe und des Betons?
Auf eBay versteigert Torsten Hattenkerl die Inhalte zu seinen Bilderrahmen und unter all
den Aufforderungen, etwas in diesen Tagen zu einem "guten Zweck" zu tun,
ist dies die ehrlichste: Auch Dichter und Maler müssen mampfen. Her mit
dem Gedicht, das in diesen Rahmen passt!
*** Manchmal verlässt die Öffentlichkeit ihre sonst allgegenwärtige
Erinnerung. Sonst wäre der Anfang des Dezembers die Gelegenheit, sich
daran zu erinnern, dass es einmal Volksdichter oder Volksschriftsteller
gab -- lange bevor sich angesichts von Volks- oder auch volkstümlicher
Musik solche Wortzusammenhänge für ernstzunehmende Menschen verbaten, und
das nicht nur wegen des Verdikts von Brecht selig, das Volk sei nie
tümlich. Johann Gottfried
Seume jedenfalls, dessen "Spaziergang nach
Syrakus"am Morgen des 6. Dezember 1801 begann, straft den
Italien-verliebten Bildungsbürger Lügen, der mit Goethe das Wahre, Schöne,
Gute in der Toskana und in Rom sucht, stattdessen aber die Armut
Kalabriens und Siziliens finden sollte. Und Johann Nepomuk Eduard Ambrosius Nestroy
(geboren am 7. 12. 1801) ebenso wie Ödon von Horvath (geboren am 9. 12.
1901), der dann viel zu früh starb, beschrieben den Kleinbürgern in all
seiner Volkstümlichkeit -- sympathisierend? Nein, aber nicht ohne
Verständnis, und daher charakterisierend und entlarvend. "Der ewige
Spießer", der in den "Geschichten
aus dem Wienerwald" der misstrauisch beäugten Angebeteten am liebsten
ins Gehirn schauen will, um sie endgültig unter Kontrolle zu haben, ist
nicht weit entfernt vom deutschen Kleinbürger, der, umstellt von lauter
Bin Ladens, der totalen Überwachung applaudiert. Die Angst des Spießers
vor der Freiheit schaut den
Schilys und den
Büssows aus den Augen. Denken tut weh, meinte Horvath. Man sieht es
manchen Leuten an.
Was wird.
Manchmal gibt es unscheinbare Daten und großes Gedöns. In den USA steht
dieser Tage die 10-Jahres-Feier des Web an, weil Tim Berners-Lee am 18.
Dezember vor 10 Jahren auf der Hypertext 91 in San Antonio den erstaunten
Amerikanern das Web vorführte.
Welchselbiges aber zu diesem Datum in Europa bereits seit einiger Zeit am
Laufen war und es auf "erstaunliche" 100 Hits am Tag brachte, wie
Berners-Lee in seinem "Weaving the Web" erzählt. Nun erwarten viele den
Streit der Fachleute, der BuchautorInnen und Beteiligten, doch etwas wird
in den nächsten Wochen garantiert in Vergessenheit geraten: dass es ein
Internet vor dem World Wide Web gegeben hat und dass es eine Zukunft des
Internet nach
dem WWWW geben muss.
Manchmal staune ich selbst: Gibt es doch tatsächlich Leser dieser
Chronik, die die Bobos
vermissen! Ihnen sei Mark Shuttleworth empfohlen, der als zweiter Tourist
in
eine Umlaufbahn geschossen wird. Er muss ein bisschen mithelfen, so
wie er mithelfen musste, seine Firma
Thawte an Verisign zu verkaufen. Dabei meint das Schicksal es doch
sooo schrecklich hart mit unserem Vorzeige-Bobo: Der Mann, der mit seinen
eingenommenen Millionen zunächst ein großartiges Silicon Valley in
Südafrika schaffen
wollte, verglich ein
paar Monate später seine Verpflichtung für Südafrika mit dem
Rassenzwang, dem schwarze Südafrikaner im Apartheids-Staat unterworfen
waren: "...Perhaps the biggest tragedy is the personal one. New-model
Shuttleworth in his new world of extreme wealth is seemingly oblivious to
the broader consequences of his actions. That he has completely lost
perspective is reflected in his statement to the reporter that to
entrepreneurs, the country's foreign exchange control laws 'feel similar
to what pass laws felt to Black South Africans.'" Hello? Masldik Chanukka.
(Hal Faber) / (jk/c't)
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